Arndt Beck


Orte des Schreckens


Die Erinnerungstafel auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz zählt einige der größten Konzentrationslager als Orte des Schreckens auf. Orte (bis auf die Berliner Bank), mehr oder weniger weit entfernt von Berlin, von Tempelhof-Schöneberg. Doch schaut man genauer hin, fallen sie auch hier ins Auge: das erste architektonische Großprojekt des Dritten Reichs, der »Weltflughafen« Tempelhof, umzäunt von bedrohlichem Stacheldraht; sein geköpftes Hoheitszeichen steht etwas verloren, aber steht vor dem Flughafen und starrt verbissen in die deutsche Nacht. Ebenso wie das Denkmal des heimgekehrten, »im Felde unbesiegten« Soldaten eines früheren Schlachtens mit gesenktem Kopf den regen Autoverkehr auf der Hauptstraße erduldet. Und nicht zu vergessen Speers Großbelastungskörper. Kein Konzeptkünstler der Gegenwart hätte ein eindrucksvolleres Monument des Größenwahns erschaffen können, sagt Christian Saehrendt völlig zurecht.

Doch auch die Nachkriegszeit (die weniger optimistische Geister auch die Vorkriegszeit nennen) hält Orte des Schreckens bereit. Der verkehrte Grabstein Ulrike Meinhofs mit der verweigerten Inschrift »Freiheit ist nur im Kampf um Befreiung möglich«, mittlerweile zurechtgerückt, stillschweigend wieder eingereiht in die schnurgerade bürgerliche Anständigkeit des Dreifaltigkeit-Friedhofs. Neben der Commerzbank das von seinen Freunden errichtete Gedenkzeichen für den in die Enge getriebenen und überrollten Klaus-Jürgen Rattay, kaum wahrgenommen von den täglich zu hunderten vorbeihastenden Passanten; die spontanen Spuren der Trauer für die ermordete Hatun Sürücü, wenig später pflichtgemäß vom städtischen Entsorgungsdienstleister in blauen Plastiksäcken der Wiederverwertung zugeführt.

Nicht weniger Tod findet sich auf dem »Marlene-Dietrich-Friedhof« in Friedenau. Im Kellergeschoß des Kolumbariums trostlos und verstaubt, im Erdgeschoß mit Plastik-Accessoires und Goldimitat zur kitschigen Erinnerung ausstaffiert. Und auch die Brandmauer des Wohnhauses in der Herbertstraße mit dem verlorenen Torso eines wohlgeformten Unterwäschemodels umweht ein Hauch des Todes.

Orte des Schreckens sind Orte des Todes; des metaphorischen, des millionenfachen industriellen und des konkreten ›gewöhnlichen‹ Todes. Und in all unserer umtriebigen Geschäftigkeit mühen wir uns eilfertig, mit hilflosen Ritualen und vordergründiger Ablenkung, die sirrende Angst vor der Ungewißheit dieser einzigen Gewißheit zu beschwichtigen.


Die Serie Orte des Schreckens erhielt beim Tempelhof-Schöneberger Fotopreis 2007 den 2. Preis (Ankaufempfehlung). Begründung: »Die Jury würdigt die Arbeit wegen der besonderen Emotionalität, sich diesem Thema zu nähern - nicht der übliche ›Kiezblick‹, sondern die politische Auseinandersetzung heben die Fotografien über die rein dokumentarische und ästhetische Dimension hinaus.«





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